Vor einer Woche erlebten Einheimische und Urlauber im Hafen des im Norden Mallorcas gelegenen Städtchens Alcúdia ein spektakuläres, aber gar nicht mal so seltenes Ereignis: Ein sogenannter "Meteotsunami" überschwemmte dort die Strandpromenade, Geschäfte und Restaurants.
Spätestens seit dem 26. Dezember 2004 ist der Begriff "Tsunami" wohl den meisten Menschen bekannt. Damals führte ein Tsunami, der durch ein unterseeisches Erdbeben in der Nähe der indonesischen Insel Sumatra ausgelöst wurde, zu einem unfassbar großen Verlust an Menschenleben und materiellen Werten. Er beraubte Millionen von Menschen in den betroffenen Ländern rund um den Indischen Ozean ihrer Lebensgrundlage.
Das Wort "Tsunami" wurde durch japanische Fischer geprägt. Diese fanden einst bei der Rückkehr vom Fischfang im Hafen alles verwüstet vor, obwohl sie auf der offenen See keine Welle bemerkt hatten. Aus diesem Grund nannten sie die mysteriösen Wellen tsu-nami, also "Welle im Hafen". Ausgelöst wird ein Tsunami durch die plötzliche vertikale Verschiebung des Meeresbodens bei einem unterseeischen Erdbeben. Der dadurch an der Oberfläche entstehende "Berg" (oder auch das entstehende "Tal") breitet sich - wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft - als sogenannte Flachwasserwelle in horizontaler Richtung aus. Die anfängliche Wellenhöhe liegt dabei typischerweise bei einigen Dezimetern, die Wellenlänge bei 100 bis 300 Kilometern. Unter der Annahme, dass sich die Meerestiefe nicht ändert, wandert die Welle praktisch ohne Abschwächung mit ihrer Ausbreitungsgeschwindigkeit, die sich über die Wurzel des Produkts aus Erdbeschleunigung und Meerestiefe berechnen lässt, über viele hundert oder tausend Kilometer über das Meer. Dort wird sie wegen der großen Wellenlänge und der geringen Wellenhöhe - wie oben bereits erwähnt - nicht wahrgenommen. Nähert sich die Welle jedoch dem Land, wird im Allgemeinen die Wassertiefe geringer. Dies führt dazu, dass sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit verlangsamt und somit aus energetischen Gründen die Wellenlänge kürzer und die Wellenhöhe größer wird. Auf die Herleitung soll jedoch an dieser Stelle verzichtet werden. Die so beträchtlich anwachsenden Wellen verursachen dann beim Auftreffen auf das Land teils erhebliche Schäden.
Ein wahrscheinlich weit weniger bekanntes Phänomen sind Meteotsunamis, deren Physik der eines "normalen" Tsunamis gleicht. Auslöser der Welle sind jedoch keine Erdbeben, sondern kurzperiodische Luftdruckschwankungen. Eine Luftdruckänderung an der Meeresoberfläche bewirkt ein Anheben (bei geringer werdendem Luftdruck) oder Absenken (bei Luftdruckanstieg) derselben. Dabei entspricht eine Luftdruckänderung um ein Hektopascal einer Änderung der Wassersäule um einen Zentimeter. Meteorologische Phänomene wie beispielsweise die Böenlinien bei Gewittern erzeugen typischerweise Bodendruckschwankungen von 1 bis 4 hPa innerhalb weniger Minuten, was eine Änderung des Meeresspiegels von 1 bis 4 cm bedingt.
Diese geringe Änderung würde man natürlich an der Küste überhaupt nicht merken. Dazu bedarf es noch anderer Faktoren: So müssen die Druckschwankungen über einen größeren Zeitraum auf die gleichen Stellen der wandernden Flachwasserwelle einwirken. Das ist dann möglich, wenn die Druckimpulse mit der gleichen Geschwindigkeit wandern wie die durch sie angeregten Wellen. Diese Bedingung nennt man nach dem britischen Ozeanografen Joseph Proudman auch Proudman-Resonanz. Nimmt man an, die Wassertiefe beträgt in Küstennähe (wo Meteotsunamis üblicherweise entstehen) 100 Meter, so beträgt die Ausbreitungsgeschwindigkeit der angeregten Welle 31,3 m/s (etwa 113 km/h), eine Geschwindigkeit, die bei Böenlinien durchaus ebenfalls erreicht wird. Über dem freien, viel tieferen Ozean ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit deutlich größer, die Wasserwellen laufen den Druckstörungen also davon. Nach MONSERRAT et al. (2006, Link 2) bewirkt die Resonanz ein Ansteigen der Wellenhöhe um ein Zehnfaches, also bspw. von 4 auf 40 cm. Also braucht man - zusätzlich zum ohnehin immer flacher werdenden Wasser - noch eine weitere Erscheinung, um einen deutlich erkennbaren Meteotsunami zu generieren: die Hafenresonanz. Dabei muss die in den Hafen, Fjord oder in eine enge Bucht einlaufende Welle die gleiche Schwingungsfrequenz haben wie die Eigenfrequenz des hin und her schwappenden Wassers im Hafenbecken (diese bezeichnet man auch als Seiches (frz.)). Dann kann es insgesamt zu einer deutlichen Amplitudenverstärkung kommen, wobei das Wasser im Hafenbecken mitunter erst zurückweicht, bevor die Welle kommt.
In der Bucht von Nagasaki kam es am 31. März 1979 mit einer Wellenhöhe von 4,78 Metern zu einem ausgesprochen starken Meteotsunami, der auch drei Menschenleben kostete. In Japan werden Meteotsunamis "abiki" oder "yota" genannt. Ebenfalls besonders heftig traf es am 21. Juni 1978 den kroatischen Hafenort Vela Luka, wo die Welle des "sciga" nach Augenzeugenberichten sogar ca. sechs Meter erreicht haben soll! Aber auch in anderen Gegenden der Erde kommt es immer wieder mal zu mehr oder weniger starken Meteotsunamis. Auf Sizilien heißen sie "marrobbio", in Malta "milghuba" oder eben "rissaga" auf den Balearen. Dort gab es vor einer Woche einen Meteotsunami, der in der Bucht von Ciutadella (Menorca) und im nordmallorcinischen Städtchen Alcúdia beobachtet wurde. Dort hat die eineinhalb Meter hohe Welle u.a. die Strandpromenade überschwemmt (siehe Video unter Link 1). Selbst an Nord- und Ostsee können sogenannte "Seebären" auftreten.
Stellt sich natürlich noch die Frage nach der Vorhersagbarkeit solcher Ereignisse. Bei den "großen" Tsunamis besteht die Schwierigkeit darin, das Auftreten von Erdbeben vorauszusagen. Kommt es aber zu einem Erdbeben, kann mithilfe einer Kombination von seismischen und ozeanischen Messungen und Vorhersagemodellen die Bevölkerung frühzeitig gewarnt werden. Bei Meteotsunamis lassen sich zwar die Ursachen - wie Gewitter mit ihren Böenlinien - einigermaßen gut vorhersagen, allerdings müssten zusätzlich kleinräumige Luftdruck- und Meerespegelschwankungen gemessen werden. Einen Ansatz für ein solches Warnsystem für die Adria liefern SEPIC und VILIBIC (2011, Link 3). Der spanische Wetterdienst (Agencia Estatal de Meteorología) gibt bereits seit 1984 "Rissaga-Warnungen" heraus, dies aber eher als Potenzialabschätzung auf Basis der reinen Wettervorhersage.
M.Sc. Met. Stefan Bach
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 23.07.2018