Im gestrigen Thema des Tages haben wir bereits erläutert, dass große Kohlekraftwerke nicht nur durch ihre massiven CO2-Emissionen zum Klimawandel betragen, sondern in manchen Fällen auch das aktuelle Wettergeschehen deutlich sichtbar beeinflussen können. Dabei ging es hauptsächlich um Effekte bei ruhigen Hochdruckwetterlagen. Heute schauen wir uns an, wozu Kraftwerke bei klassischem Schauerwetter in der Lage sind.
Ist die Atmosphäre labil geschichtet, nimmt also die Lufttemperatur mit der Höhe stark ab, wird die Bildung von Schauern und Gewittern begünstigt. Oftmals reicht die Labilität jedoch nicht aus, um von sich aus Schauer auszulösen. Die Atmosphäre braucht sozusagen einen "Zünder". Die feuchte und warme Luft, die aus den Kühltürmen von Kohlekraftwerken strömt, kann solch ein Zünder für Schauerbildungen sein. Bereits bestehende Niederschläge können sich dadurch erheblich verstärken, in einzelnen Fällen bilden sich stromabwärts der Kraftwerke sogar wiederholt neue Schauer.
Zuletzt konnte dieser Effekt am Nachmittag des vergangenen Freitag, 2. Februar 2018, beobachtet werden. Deutschland befand sich zu diesem Zeitpunkt unter dem Einfluss einer nördlichen bis nordwestlichen Strömung, mit der Meeresluft polaren Ursprungs eingeflossen ist. Insbesondere in der Höhe machte sich die Luft mit kalten Temperaturen bemerkbar. In ca. 5,3 km Höhe lagen die Temperaturen bei etwa -35 Grad, während am Boden noch Temperaturen von +2 bis +7 Grad gemessen wurden. Somit waren die Bedingungen für Schauer (labile Schichtung) gegeben.
Die Radarbilder zeigen in der Tat über Nordrhein-Westfalen Regen- und Schneeschauer. Um 15:15 UTC (16:15 MEZ), Abbildung (a), sind vor allem zwei kräftigere Schauer zu sehen, westlich von Köln sowie östlich von Leverkusen. Auffällig ist, dass der westliche Schauer genau am Ort des Kohlekraftwerks Niederaußem (rotes Kreuz) nördlich von Bergheim beginnt. 15 Minuten später (15:30 UTC) "startet" der Schauer noch an genau der gleichen Stelle (b), während sich der Schauer östlich von Leverkusen mit dem Wind etwas weiter nach Südosten verlagert hat. Weitere 30 Minuten später (16:00 UTC) hat sich der östliche Schauer weiter Richtung Osten verlagert (c), während sich der Schauer zwischen Bergheim und Köln zwar abgeschwächt, aber nicht von Ort und Stelle bewegt hat. Selbst weitere 30 Minuten später (16:30 UTC) bildet sich bei Bergheim nach wie vor Niederschlag (d), der sich nach Südosten ausbreitet, sodass es südöstlich des Kraftwerks Niederaußem über eine Stunde pausenlos geregnet hat. Nach 16:30 UTC ließ die Schauertätigkeit allmählich nach.
Ein weiterer Fall konnte am 8. Dezember letzten Jahres beobachtet werden. Die Wetterlage war ähnlich. Auch an diesem Tag floss Meeresluft polaren Ursprungs nach Deutschland. In den unteren Abbildungen (e und f) erkennt man großflächige Schnee- (gelb), Schneeregen- (grün) und Regenfälle (blau). Bei genauem Hinsehen sieht man, dass sich direkt südöstlich des Kraftwerks Niederaußem eine linienhafte Niederschlagsstruktur gebildet hat (rotes Oval). Wie an einer Perlenschnur aneinander gereiht ziehen diese Schauer mit dem Wind nach Südosten. Während die umliegenden Schauer langsam abzogen, lieferten die Kraftwerke fortwährend Feuchtigkeit nach. Wie im ersten Fall hielten die kräftigen Schauer westlich von Köln über mehr als eine Stunde an, während es westlich und östlich dieser schmalen Schauerstraße trocken blieb. Die orangefarbenen Pixel deuten darauf hin, dass sich sogar Graupel bilden konnte. Tatsächlich wurde im etwa 45 km von Niederaußem entfernten Bonn ein für längere Zeit andauernder Graupelschauer beobachtet. Dieses Phänomen ist im Winter immer wieder zu beobachten. Der Autor dieses Textes befand sich selbst vor einigen Jahren in Bonn mitten in einem dieser "Dauergraupelschauer". Wie an einer Perlenschnur, die am Kraftwerk begann, zog für eineinhalb Stunden Graupel ins Stadtgebiet von Bonn. Der sorgte dafür, dass die Temperatur auf -1 Grad sank, während am nur etwa 15 km entfernten Flughafen Köln/Bonn bei leicht bewölktem Himmel +4 Grad gemessen wurden.
Der aus den Kühltürmen ausströmende Wasserdampf kann also interessante und mitunter spektakuläre Wettereffekte auslösen, hat jedoch im Gegensatz zum CO2 auf das zukünftige Klima keinerlei Einfluss.
Dipl.-Met. Dr. Markus Übel
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 06.02.2018