Heute drohen im Norden und Osten Deutschlands durch das Sturmtief XAVIER teils schwere Sturmböen, exponiert auch orkanartige Böen oder Orkanböen. Der aktuelle Stand der Lage und das Thema "Vorabinformation" werden im Folgenden dargelegt.
In weiten Bereichen Deutschlands wird am heutigen Donnerstag eine markante Sturmlage erwartet, wobei der Schwerpunkt im Norden und Osten liegt. Im Oberharz und auch auf den Gipfeln der östlichen Mittelgebirge drohen gar Orkanböen und auch im Tiefland Nordostdeutschlands sind einzelne orkanartige Böen besonders an der Südflanke des Tiefzentrums sowie beim Durchgang der zugehörigen Kaltfront nicht auszuschließen.
Die vom Computer berechneten Vorhersagemodelle erfassten die Entwicklung von XAVIER im Verlauf der letzten beiden Tage sehr gut, wobei sich allerdings kleinere Unsicherheiten mit Blick auf die genaue Zugbahn ergaben. So erwartete das europäische Modell vom EZMW (Europäisches Zentrum für mittelfristige Wettervorhersagen) in Reading eine etwas nördlichere Zugbahn, wobei das Zentrum von XAVIER über das südliche Vorpommern nach Polen ziehen sollte. Andere Vorhersagemodelle deuteten eine etwas südlichere Zugbahn an (z.B. das deutsche hochaufgelöste Modell COSMO-DE mit einer Zugbahn über Nordbrandenburg). Diese Unterschiede erscheinen auf den ersten Blick nicht groß, doch muss berücksichtigt werden, dass sich an der Südflanke von XAVIER ein sehr kompaktes Sturmfeld ausbildet, sodass auch solch kleine Verschiebungen z.B. für das südliche Vorpommern entweder mäßigen Wind oder Sturmböen bedeuten würden. Alle Vorhersagemodelle waren sich allerdings einige über die Entwicklung eines kräftigen Sturmtiefs, das im Tagesverlauf über Nordostdeutschland nach Polen ziehen soll. Aufgrund dieser Berechnungen wurde daher am gestrigen Mittwochmittag vom Deutschen Wetterdienst (DWD) eine erste, bezüglich Raum und Zeit etwas gröber abgefasste Vorabinformation über die "nahende Unwetterlage bezüglich der Orkanböen" herausgegeben (Wortlaut: "Vorabinformation Unwetter vor Orkanböen), die dabei alle Modellunsicherheiten der möglichen Zugbahnen von XAVIER umfasst. Bevor wir aber näher auf die neuesten Vorhersagen von XAVIER eingehen, soll noch näher auf den Begriff "Vorabinformation" eingegangen werden.
Zunächst sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Vorabinformation KEINE amtliche Unwetterwarnung darstellt. Vorabinformationen und (Unwetter-)Warnungen sind GETRENNT voneinander zu betrachten. Warnungen werden je nach Intensitätsstufe nach bestimmten Kriterien eingeteilt (siehe http://bit.ly/2y0Nybv). Eine Vorabinformation wird möglichst frühzeitig (rund sechs bis 48 Stunden) vor einem zu erwarteten Unwetterereignis von den Meteorologen des DWD ausgegeben. Der Gültigkeitszeitraum dieser Information umfasst den Zeitraum des zu erwartenden Unwetterereignisses (schwere Gewitter, starkes Tauwetter, starker Schneefall und/oder Verwehungen, ergiebiger Dauerregen, heftiger Starkregen, Glatteis, orkanartige Böen oder Orkan).
Für XAVIER wurde die Vorabinformation am gestrigen Mittwoch zur Mittagszeit ausgegeben mit einer Gültigkeit von Donnerstag (heute) 10 bis 18 Uhr im Norden und von 14 bis 22 Uhr im Osten. Während des jeweiligen Zeitraums ist also in diesen Bereichen ein Potential für Unwetter (hier: orkanartige Böen und Orkanböen) gegeben. Eine Vorabinformation wird je nach Erkenntnisstand nach einer bestimmten Zeit (z.B. 12 Stunden) konkretisiert bzw. entsprechend angepasst. Zudem muss diese entweder im Falle des Nichtauftretens aufgehoben oder im Falle des Eintretens durch eine amtliche Unwetterwarnung ersetzt werden. Letzteres wurde am gestrigen Mittwochabend umgesetzt und große Bereiche der Vorabinformation in eine Unwetterwarnung vor orkanartigen Böen umgewandelt. Die nördlichen, in der Vorabinformation genannten Bereiche von Schleswig-Holstein bis in die Uckermark besitzen weiterhin ihre Gültigkeit, da dort erst die aktuelle Zugbahn des Sturmtiefs entscheidet, wo genau der Nordrand des unwetterartigen Sturmfeldes verlaufen wird .
Die frühzeitige Ausgabe dieser Vorabinformation ist vor allem für Behörden und Katastrophenschützer von Interesse, die rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen treffen müssen. Vorabinformationen werden übrigens auch bei solchen Wetterlagen ausgegeben werden, bei denen das vorhergesagte Wetterereignis noch knapp unterhalb der Unwetterwarnschwellen des DWD liegt.
Doch wie ist nun der aktuelle Stand bezüglich XAVIER? Das Sturmtief marschierte in der Nacht von Großbritannien zur Nordsee und erreichte am späten Vormittag das deutsch-dänische Grenzgebiet. Im Verlauf des Tages entwickelt sich besonders auf der West- und Südflanke des Tiefzentrums das kräftigste Sturmfeld. Dieses erreicht zur Mittagszeit den Nordwesten (Niedersachsen, Schleswig-Holstein), wird am Nachmittag dann Sachsen-Anhalt und die südlichen Bereiche Mecklenburg-Vorpommerns überqueren und in den späten Nachmittag- und Abendstunden auch Brandenburg, Berlin, Thüringen und Sachsen erfassen. In diesen Bereichen wird für jeweils einige Stunden mit schweren Sturmböen bis 100 km/h (Bft 10), teils orkanartigen Böen bis 115 km/h (Bft 11) und vereinzelt auch mit Orkanböen (Bft 12) aus West bis Nordwest gerechnet. Auf exponierten Berggipfeln erreicht der Wind in Böen volle Orkanstärke. Im Westen und über der Mitte Deutschlands liegt bzgl. der stärksten Böen der Fokus auf der zugehörigen Kaltfront, die zum Mittag den Westen und zum Nachmittag und Abend die Mitte Deutschlands erreicht. Dort muss bei Frontpassage in Verbindung mit kräftigen Schauern oder einzelnen Gewittern durch das Herabmischen des starken Höhenwindes (vertikaler Impulstransport) bis in tiefe Lagen mit Böen von 80 bis 95 km/h (Bft 9 bis 10) gerechnet werden. Auch dabei sind einzelne orkanartige Böen Bft 11 nicht ausgeschlossen. Rückseitig des nach Osten abziehenden Sturmtiefs flaut der Wind zum Abend von Westen her rasch ab, sodass für viele Bereiche Deutschlands XAVIER bereits wieder Geschichte ist. In der Oberlausitz treten jedoch noch bis in die erste Nachthälfte, im Küstenumfeld und im Bergland die gesamte Nacht über Sturmböen aus West bis Nordwest auf.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 05.10.2017