Raus aus dem Alltagsstress und rein in die Natur. Viele Menschen versuchen während ihres Urlaubs dem Alltag und seinen Folgen so gut es geht zu entfliehen. So geschehen im Spätsommer 2017, wo sich der Autor des heutigen Thema des Tages auf die Hallig Hooge im schleswig-holsteinischen Wattenmeer in der Nordsee begab.
Die Macht des Wetters kann einem kaum woanders so direkt und unbarmherzig vor Augen geführt werden, wie am und auf dem offenen Meer. Der Wind weht mal sanft, mal mit all seiner Kraft und formt auf der Oberfläche der Meere Wellen in unterschiedlicher Ausprägung. Ob Wind, Ebbe und Flut oder Wellen, die Halligen sind diesen Kräften tagaus, tagein ausgesetzt und daher auch einem ständigen Landschaftswandel unterworfen.
Um die Entstehung der Halligen in der Nordsee verstehen zu können, muss in der Geschichte weit zurückgeschaut werden, und zwar bis zum Ende der letzten Kaltzeit vor rund 11 000 Jahren. Die während der Kaltzeit in den gewaltigen Eisschilden gebundenen Wassermassen ließen den Meeresspiegel im Vergleich zu heute um bis zu 100 Meter absinken, sodass Schelfmeere wie die Nordsee größtenteils trocken fielen. Nach dem Ende der Kaltzeit stieg der Meeresspiegel wieder an, sodass viele Gebiete des heutigen Nordfrieslands erneut vom Wasser bedeckt wurden. Übrig blieben kleine und flache Marschinseln, die als Halligen bezeichnet wurden. Nachdem der Anstieg rund 2000 Jahre v. Chr. endete, besiedelten um Christi Geburt laut Aufzeichnungen die ersten Menschen die Moorlandschaft und betrieben hauptsächlich Torfabbau. Dies allerdings sorgte mit der Zeit für ein allmähliches Abflachen der Moorlandschaft und ermöglichte der Nordsee wieder häufiger die Landflächen der Halligen zu überspülen und der Kampf der Bewohner mit dem Meer und seinen Gefahren wurde immer intensiver.
Die Geschichte der Halligen ist geprägt von teils verheerenden Sturmfluten, die nicht nur wiederholt für große Schäden an den Gebäuden sorgten, sondern auch Menschenleben forderten. Auf Hallig Hooge (und natürlich auch auf den umgebenden Halligen) sorgten besonders zwei gewaltigen Sturmfluten für großes Leid und Zerstörung, die zudem auch das gesamte Erscheinungsbild der Halligen nachhaltig veränderten: die großen Sturmfluten von 1362 und von 1634 (nähere Informationen im DWD Lexikon unter "Mandränke"). Als Folge dieser einschneidenden Ereignisse begannen die Menschen auf den Halligen Erdhügel aufzuwerfen, um ihr Hab und Gut, aber auch sich selber vor der Nordsee besser zu schützen. Diese Hügel werden als "Warften" bezeichnet und bieten dem Vieh wie auch den Menschen Schutz bei Sturmfluten. Auch heute noch werden die Halligen bei starken Stürmen in Verbindung mit auflaufendem Wasser (der Flut) wiederholt im Jahr überflutet. Dann heißt es "Land unter". In solchen Fällen ragen nur noch die Warften als kleine Inseln inmitten eines tobenden Meeres aus dem Wasser, was einen schaurig schönen Anblick bietet.
Die Halligen dienen als natürliche Wellenbrecher für die Nordseeküste und sind nicht nur Erholungs- und Urlaubsort, sondern besitzen zudem auch neben dem einzigartigen Wattenmeer eine so unglaublich vielfältige Flora und Fauna, dass die Aufnahme des Wattenmeeres mit seinen Halligen sogar in die Liste des UNESCO-Weltnaturerbes erfolgte.
Ihrer Exponiertheit entsprechend fallen den Besuchern allerdings neben der Tierwelt auch sehr interessante meteorologische Erscheinungen auf. Über Festland - und somit die meisten von uns betreffend - kann die mal mehr, mal weniger stark ausgeprägte Orografie einen sehr böigen Wind hervorrufen. Auf den Halligen allerdings ist der Mensch der maritimen Grenzschicht ausgesetzt, die vergleichsweise glatt ist und dem Wind auch oberflächennah kaum Widerstand bzw. Reibung entgegensetzt. Daher weht der Wind meist beständig, zwar auch mit Böen, die allerdings deutlich schwächer ausgeprägt sind. Besonders auffällig ist dies bei einer Sturmlage.
Der auf den Halligen in der mitteleuropäischen Westdrift meist beständig aus südwestlicher bis nordwestlicher Richtung wehende Wind formt auch die Vegetation, die sich dieser Situation anpasst. Schön kann dies zum Beispiel an Bäumen und Büschen erkannt werden, die eine sogenannte "Wuchsanomalie" aufweisen und bevorzugt in die der Wetterseite abgeneigten Richtung wachsen. Da es so aussieht, als ob sie vor dem Wind flüchten, werden diese Bäume und Büsche als sogenannte "Windflüchter" bezeichnet. Großes meteorologisches Wissen ist nicht notwendig, um bei deren Sichtung auf die vorherrschende Windrichtung zu schließen.
Nicht selten gibt es durch die Küstenform Regionen, wo der Wind vorzugsweise zusammenströmt (konvergiert) und dadurch zum Aufsteigen gezwungen wird. Durch die aufsteigende und in der Folge abkühlende Luft bilden sich Schauer und Gewitter sowie sogenannte "Schauerstraßen" aus. Sie bringen einem relativ eng begrenzten Bereich wiederholt Niederschläge, während nur wenige Kilometer entfernt die Sonne durch die Wolken scheint.
Wind, Schauer und etwas Sonnenschein. So zeigte sich auch während meines Aufenthaltes Anfang September das Wetter auf der Hallig Hooge. Doch dieses von mir erhoffte abwechslungsreiche und dem "Nordseefeeling" entsprechende Wetter wurde am 13. September von Sturmtief "Sebastian" mit schwerem Sturm und "Land unter" noch getoppt. Doch dazu mehr im zweiten Teil am kommenden Mittwoch.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 25.09.2017