Tiefdruckgebiete gehen nicht nur mit Wolken und Niederschlägen einher, sondern können auch viel Wind im Gepäck haben. Bei rasanten Tiefdruckentwicklungen kann der Wind südwestlich des Tiefdruckkerns besonders hohe Windgeschwindigkeiten erreichen und große Schäden anrichten.
Intensive Tiefdruckgebiete sind während der Herbst- und Winterzeit für die gemäßigten Breiten keine Seltenheit. Wiederholt liefern sich die polaren Luftmassen aus dem Norden mit den subtropisch warmen Luftmassen aus dem Süden einen Kampf um die Vormachtstellung. Dieser Kampf findet entlang der sogenannten "Frontalzone" statt (siehe DWD-Lexikon). Natürlich macht eine kräftige Sturmtiefentwicklung nicht nur das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Luftmassen aus, denn wie so oft in der Meteorologie müssen viele Zahnräder ineinandergreifen, bevor sich in diesem Fall ein gewaltiger Sturm entwickeln kann. Wenn dies jedoch passiert, treten in unterschiedlichen Bereichen eines solchen Sturm- oder Orkantiefs sehr hohe Windgeschwindigkeiten auf. Im Bereich zwischen der zugehörigen Warm- und Kaltfront sind zunächst meist die Berglagen als erste vom Sturm betroffen, bevor sich die hohen Windgeschwindigkeiten besonders entlang der Kaltfront auch bis in tiefe Lagen durchsetzen. Doch im heutigen Thema des Tages soll auf eine weitere Region eingegangen werden, die auf der Nordhalbkugel an der Südwestflanke des Tiefdruckzentrums zu finden ist.
Zum besseren Verständnis der folgenden Erklärung sind dem Thema des Tages zwei modifizierte Wasserdampfbilder des Satelliten METEOSAT beigefügt. Diese Bilder zeigen das Orkantief NIKLAS am Abend des 5. Februar 2017 über den Weiten des Nordatlantiks. Zu diesem Zeitpunkt wies der Orkan einen Kerndruck von unter 940 hPa auf. Zum Vergleich - der mittlere Luftdruck auf Meeresniveau liegt bei 1013 hPa. NIKLAS war ein wahrlich außerordentliches Orkantief! Die Farbskala beider Wasserdampfbilder ist dieselbe und geht von hohen Temperaturen (gelb bis rot) zu tiefen Werten (weiß bis grün). Der Unterschied beider Bilder ist stark vereinfacht gesagt der, dass METEOSAT im linken Bild tiefer in die Troposphäre schaut, während rechts nur die Bereiche der mittleren und oberen Troposphäre betrachtet werden. Beim direkten Vergleich beider Wasserdampfkanäle kann so zum Beispiel verfolgt werden, wie sich eine trockene Luftmasse von höheren Bereichen der Troposphäre in tiefere voran arbeitet. Das wiederum stellt für die Meteorologen bei den Intensitätsvorhersagen von Sturmtiefs eine nützliche Information dar. Es wurde bewusst diese Uhrzeit gewählt, da durch die tiefstehende Sonne und die hervorgerufenen Schatteneffekte ein 3D-Effekt erzielt wird, der die im Folgenden beschriebenen Strömungen besser hervorhebt.
Werden nun Luftmassen betrachtet, die um solch ein mächtiges Tiefdruckgebiet geführt werden, sind mehrere sogenannte "Förderbänder" (engl. "conveyor belts") erkennbar. Rot eingerahmt ist das warme Förderband, in dem feuchte und warme Luftmassen nordwärts geführt werden, dabei aufgleiten und einen immer mächtigeren Wolkenschirm aus Cirren (hohen Eiswolken) bilden. Im Satellit ist dieser durch eine große Fläche mit grüner Farbe zu erkennen. Nördlich vom Tiefdruckgebiet wickelt sich hingegen unterhalb des warmen Förderbands das kalte Förderband (blaue Pfeile) ums Zentrum. Das alles stellt eine sehr starke Vereinfachung dar, da sich z.B. ein Förderband in mehrere Äste aufteilen kann. Zuletzt sei noch erwähnt, dass sehr trockene Luft aus hohen Schichten (obere Troposphäre bis untere Stratosphäre in 300 hPa) angezapft und in das Tiefdruckzentrum geführt wird, dargestellt durch die gelben Pfeile. Diese Einbeziehung trockenerer Luft findet umso intensiver statt, je kräftiger die Tiefdruckentwicklung ist und unterstützt diese sogar noch.
Der Fokus richtet sich nun auf den Südwestbereich des Tiefdruckzentrums, der im rechten Bild durch einen roten Kasten hervorgehoben wurde. Hier bildet sich bei sehr kräftigen Tiefdruckgebieten ein kompaktes Windmaximum aus, wo enorme Windgeschwindigkeiten auftreten können. Zum einen herrscht hier der größte Druckgradient, wobei die Natur bestrebt ist, diesen auszugleichen, was mit entsprechend hohen Windgeschwindigkeiten einhergeht. Zum anderen bewegt sich ein Tief in der Westwindzone meist von West nach Ost. Von daher addiert sich in eben diesem Bereich auch die Zuggeschwindigkeit zum bereits erwähnten Gradientwind. All diese Faktoren und noch einige mehr sorgen für dieses ausgeprägte Windmaximum, das in der Fachliteratur "cold conveyor jet, CCJ" genannt wird.
Wenn Sie nun genau auf das rechte Satellitenbild schauen, erkennen Sie im roten Kasten, dass die Wolken wie Schlieren aussehen. Das ist der Bereich, wo die vorhin beschriebene trockene Luft absinkt, verdunstet und dadurch abkühlt. Da kalte Luft schneller zum Boden sinkt, kommt sie mit noch höherer Geschwindigkeit am Boden an. Dieses Phänomen stellt den "sting jet" dar, der noch größere Windspitzen als der CCJ hervorruft und im Verlauf des Ereignisses in diesen übergeht. Dabei handelt es sich um einen sehr komplexen Vorgang, bei dem noch viele Fragen offen sind und der hier ebenfalls nur stark vereinfacht erläutert werden kann.
Als ein weiteres Beispiel für solch einen ausgeprägten CCJ kann auch Orkantief EGON Mitte Januar 2017 herangezogen werden. Hier sorgte der zugehörige sich von West nach Ost über die Mitte Deutschlands ziehende und allmählich abschwächende CCJ für die verbreitet aufgetretenen schweren Sturmböen, teils gar für Orkanböen (siehe Thema des Tages im Archiv vom 14.01.2017).
Die gute Nachricht aber zum Schluss: Bis in die nächste Woche erwartet uns anstatt stürmischem Westwindwetter ruhiges und mildes und ab Montag für ganz Deutschland dann auch zunehmend sonniges Frühlingswetter.
Dipl.-Met. Helge Tuschy
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 24.03.2017