Der tropische Wirbelsturm ENAWO traf am Dienstag mit voller Wucht auf Madagaskar. Er zählt zu den stärksten Zyklonen, die je auf den Inselstaat trafen - und der nächste könnte schon bald folgen.
Besonders in Teilen Süddeutschlands fällt ziemlich viel Regen zurzeit - so viel, dass die zuständigen Meteorologen beim Deutschen Wetterdienst nicht lange zögerten und entsprechende Warnungen vor ergiebigem Dauerregen herausgaben. Der Dauerregen, nicht zuletzt auch der Beitrag durch das Tauwetter, führen zu einem Niederschlagsdargebot, das insbesondere für kleinere Flüsse eine außerordentliche Belastung sein dürfte: Sie führen zunehmend Hochwasser. Dies stellt für einige sicherlich keine angenehme Situation dar. Doch wie so oft relativiert sich das Ganze, wenn man mal schaut, zu welch ungleich dramatischeren Wetterentwicklungen die Natur anderswo imstande ist.
So traf am vergangenen Dienstag der tropische Wirbelsturm ENAWO mit voller Wucht auf Madagaskar. Sintflutartige Regenfälle, Sturm- und Orkanböen suchen den Inselstaat seitdem heim. Auf seinem Weg vom Indischen Ozean Richtung madagassische Ostküste fand der Zyklon, so nennt man tropische Wirbelstürme in jenem Bassin, sehr günstige Entwicklungsbedingungen vor wie hohe Meeresoberflächentemperaturen und schwache, mit der Höhe kaum variierende Winde. Dadurch wuchs er rasch zu einem äußerst gefährlichen und vor allem ungewöhnlich großen Sturm heran. Ausgerechnet unmittelbar vor Landgang erreichte er schließlich seinen Entwicklungshöhepunkt mit mittleren Windgeschwindigkeiten von über 200 km/h und damit eine Intensität, welche der zweithöchsten Hurrikan-Kategorie entspricht.
Das denkbar "unglückliche" Timing ließ insbesondere für den Nordosten Madagaskars das Schlimmste befürchten, wo ENAWO als "Kategorie-4-Zyklon" zwischen den beiden Großstädten Antalaha und Sambava an Land ging. Noch ist unklar, wie weitreichend und schwer die Folgen des Sturmes wirklich sind, zumal die Katastrophe noch in vollem Gange ist. Aber Orkanböen bis weit ins Landesinnere, Überschwemmungen und Erdrutsche als Resultat von exorbitanten Niederschlagsmengen von vielerorts 200 bis 400 l/qm sowie heftiger Wellenschlag und Sturmfluten an der Küste scheinen nach ersten Berichten massiven Schaden an der Infrastruktur hinterlassen zu haben. Viele Menschen seien obdachlos, heißt es.
Zwar schwächt sich ENAWO nun auf seinem Weg gen Süden infolge der Reibung und des abreißenden Energienachschubs über den Landflächen rasch ab, doch aufgrund seiner immer langsameren Verlagerung einmal längs über die Insel hinweg muss in vielen, teils auch sehr bevölkerungsreichen Regionen Madagaskars mit weiteren heftigen Regenfällen gerechnet werden. Gut, dass wenigstens die Flüsse im Landesinneren wegen monatelanger Dürre extremes Niedrigwasser führten oder gar völlig ausgetrocknet waren und so ein großes "Auffangbecken" für die Wassermassen darstellen.
Madagaskar gelangt zwar regelmäßig ins Fadenkreuz tropischer Wirbelstürme, allerdings trafen seit 1983 lediglich acht Zyklone mit einer Hurrikankategorie-4 äquivalenten Stärke direkt auf den Inselstaat. Gemessen an den mittleren Windgeschwindigkeiten bei Landgang reiht sich ENAWO hinter HARY (2002) und GAFILO (2004) auf den dritten Platz der stärksten tropischen Wirbelstürme ein.
... Und es bleibt unruhig über dem Indischen Ozean. Schon jetzt zieht ein neuer tropischer Sturm nordöstlich von Mauritius die Aufmerksamkeit der Forecaster auf sich. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich dieser Tiefdruckwirbel in den nächsten Stunden zu einem ernstzunehmenden tropischen Zyklon entwickelt. Verschiedene Computermodelle berechnen eine west- bis südwestliche Zugbahn des möglichen Zyklons, sodass ab dem Wochenende und kommende Woche Mauritius, La Reunion und sogar wieder Madagaskar gefährdet sein könnten.
Solange sich der Zyklon noch in der Anfangsphase der Entwicklung befindet, sind die Berechnungen der Vorhersagemodelle allerdings besonders unsicher. Es besteht also noch Hoffnung, dass der neue Sturm eine andere Richtung einschlägt und ENAWO damit zunächst nur ein "Einzelgänger" bleibt.
Dipl.-Met. Adrian Leyser
Deutscher Wetterdienst Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach, den 09.03.2017